Badische Zeitung vom Samstag, 18. März 2006

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Verantwortung übernehmen und an den Autoritäten zweifeln

In den letzten drei Jahren recherchierte Soko Aoki für ihre Doktorarbeit zum Thema “ Entwicklung der Anti-Atom-Bewegung in Deutschland” auch am Kaiserstuhl

Von unserem Mitarbeiter Patrik Müller


Die japanische Forscherin Soko Aoki übergab gestern ihre Doktorarbeit zum Thema “Entwicklung ...mehr

WEISWEIL/WYHL. Sie kommt aus Japan und ist 28 Jahre alt. Deutschland hat sie in den letzten Jahren sechs Mal besucht. Neuschwanstein hat sie jedoch noch nie gesehen. Die Wissenschaftlerin Soko Aoki hat andere Interessen: Ihr Forschungsgebiet ist die deutsche Widerstands- und Umweltbewegung. In den letzten drei Jahren recherchierte sie für ihre Doktorarbeit zum Thema “ Entwicklung der Anti-Atom-Bewegung in Deutschland” auch am Kaiserstuhl, insbesondere im Weisweiler “Archiv der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen.” Gestern übergab sie in Weisweil eine Ausgabe ihrer Arbeit an das Archiv.

Die Dissertation legte sie am Institut für Soziologie der Universität Sendai vor, einer Stadt 300 Kilometer nördlich von Tokio; das Werk hat 196 Seiten und 266 Fußnoten. Während der Recherche interviewte Soko Aoki 160 Menschen zum Thema Bürgerbewegung — darunter auch Veteranen der Wyhler Platzbesetzung wie zum Beispiel den Weisweiler Siegfried Göpper. “Ohne die Hilfe dieser Menschen” , sagt Soko Aoki, “hätte meine Feldforschung keinen Erfolg gehabt.”

Die deutsche Umwelt-Bewegung, sagt sie, sei in Japan sehr bekannt. Auch durch die Bücher der Wahl-Freiburgerin Mineko Imaizumi: Die Schriftstellerin und Journalistin, die seit über 20 Jahren im Schwarzwald lebt, hat in Japan schon mehrere Bücher darüber veröffentlicht. Die weckten auch das Interesse von Soko Aoki — schon ihre Magisterarbeit verfasste sie über den Widerstand gegen das Kernkraftwerk Wackersdorf.

Soko Aoki engagiert sich selbst gegen Nuklearenergie und hat auch schon an Anti-AKW-Demos teilgenommen — in Japan und Deutschland. “Die Bewegung in Japan ist ganz klein und schwach” , sagt sie, “und bei mir zu Hause engagieren sich viel weniger junge Leute gegen Kernkraft.” Interessenkonflikte zwischen wissenschaftlicher Objektivität und eigenem Engagement befürchtet sie nicht. “Ich denke, das ist kein Problem” , sagt sie. Manchmal, räumt sie ein, sei es aber nicht ganz leicht gewesen, neutral zu bleiben.

Das Bewusstsein, Verantwortung zu übernehmen und an der Legitimation von Autoritäten zu zweifeln — das sieht Soko Aoki in ihrer Dissertation als ausschlaggebende Beweggründe der deutschen Umweltbewegung an. “Diese beiden Motive” , so ihr Fazit, “sind meiner Meinung nach auf die intensive Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer Vergangenheit zurückzuführen.” Wyhl sei dabei der große Wendepunkt gewesen — nicht nur als erstes Beispiel einer erfolgreichen, groß angelegten Aktion, sondern auch als Musterbeispiel für spätere Widerstände. Die Methoden, die damals praktiziert wurden, waren neu und entstammten der Studentenbewegung in der zweiten Hälfte der 60er Jahre — Platzbesetzungen und Teach-Ins zum Beispiel.

Nicht zuletzt, so Aoki, erlangten die Einheimischen durch ihren Widerstand selbst eine “gemeinsame Identität als “kämpferische Existenz” ” . Die Erinnerung an den Bauernkrieg und 1848er-Revolution hätten dieses Denkmuster noch verstärkt: Polizei und Bundesgrenzschutz wurden als Verkörperung der Staatsgewalt gesehen. Kurz: Als Feinde — und wer einen gemeinsamen Feind hat, hält zusammen. Und: “Viele, die ihre Eltern für den fehlenden Widerstand gegen den Nationalsozialismus gerügt haben” , schreibt Aoki, “nahmen nun an Protestaktionen teil, um selbst Spuren ihres Widerstandes zu hinterlassen.”

Für Erhard Schulz, den Sprecher der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiative, war es nichts Besonderes, Forschungsobjekt zu sein — über Wyhl wurden mehr als 20 Dissertationen und rund 60 Abschlussarbeiten angefertigt. “Frau Aoki ist eine freundliche Wissenschaftlerin, mit der man sehr gerne kommuniziert. Wir schätzen sie sehr” .

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