Grenzüberschreitende Kooperation am Oberrhein:

Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen
ASSOCIATIONS ANTINUCLEAIRES DE BADE ET D'ALSACE

Auszüge aus der

Langfassung eines Beitrags zum Wissenschaftlichen Kolloquium:

Deutsche und Franzosen im zusammenwachsenden Europa 1945-2000 **

Freiburg i. Br., 12. April 2002

Inhaltsübersicht:

Zusammenfassung

1. Das drohende "Ruhrgebiet am Oberrhein"

2. Zur Vorgeschichte: Kaiseraugst, Fessenheim und Breisach

3. "Marckolsheim" und "Wyhl" - die Gründung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

4. Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen und der lange Kampf um das Atomkraftwerk Wyhl

4.1. Eine Bauplatz-Besetzung macht Geschichte

4.2. Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

4.3. Die "Offenburger Vereinbarung" - ein Staatsvertrag.

Die zweite Erklärung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

4.4. Der Rechtsweg - wichtige Rückendeckung, aber schließlich enttäuschend.

Die dritte Erklärung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

4.5. Allmählicher weiterer Rückzug der Landesregierung und endgültiger Verzicht auf Wyhl

5. Fessenheim (II): Breite Proteste und die Kontrollkommissionen

6. Gerstheim und Heiteren

7. Die Europa-Erklärung der Bürgerinitiativen und die Wyhl-Jahrestage

8. Auswirkungen und Folgewirkungen

8.1. Unterstützung des Widerstandes bei Atomstandorten außerhalb der Region

8.2. Denk-Male

8.3. Weitere Folgewirkungen und Nachwirkungen der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

9. Schlussbemerkungen

Anhang 1: persönliche Anmerkungen/Widmung

Anhang 2: zum Autor

Anhang 3: Literaturhinweise

Anhang 4: ausgewählte Abbildungen der Präsentation vom 12.4.2002

© Dr.rer.nat. Georg Löser

Zusammenfassung:

Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen und mit ihnen breite Schichten der Bevölkerung in der Region am südlichen Oberrhein haben Geschichte gemacht. Höhepunkte und Brennpunkte ihrer Arbeit und Aktionen waren die Kämpfe um die geplanten Atomkraftwerke Wyhl/Baden, Fessenheim sowie Gerstheim/Elsaß ebenso wie um eine geplante Bleichemiefabrik in Marckolsheim/Elsaß Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen entstanden formell mit ihrem internationalen Komitee am 25.8.1974 in Weisweil und mit ihrer damaligen "Erklärung der 21 Bürgerinitiativen an die Badisch-Elsässische Bevölkerung". Sie wuchsen bald auf fast 50 Initiativen an. Sie sind im Zusammenhang zu sehen mit den etwa zeitgleichen Kämpfen um das geplante Atomkraftwerk Kaiseraugst bei Basel und weitere Atomanlagen im Dreiländereck, dem schon zuvor begonnenen Protest gegen das Atomkraftwerk Fessenheim, mit der erste in Europa, und - bereits sehr intensiv, mit großer Resonanz und erfolgreich - gegen das geplante Atomkraftwerk bei Breisach. Sie widersetzten sich der drohenden Vision einer weitgehenden, streckenweise großflächig geplanten Industrialisierung am südlichen Oberrhein. Hinter dem bei Marckolsheim, Wyhl und Kaiseraugst besonders eskalierten Protest stand und steht primär die gemeinsame Sorge von Menschen um die Existenzgrundlagen: für Leben und Gesundheit auch künftiger Generationen, für Weinbau und Landwirtschaft, die schöne Heimat, für gute Arbeitsplätze.

Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitativen haben mit ihrem Widerstand und vielfältigen Aktionen den Grundstein gelegt für einen atomenergiekritischen Konsens im Dreiländereck, der politisch am klarsten in den beiden Baseler Kantonen Ausdruck fand und findet, der aber u.a. auch in einem "Schwur" elsässischer Bürgermeister, Kommunalvertreter und Vereinigungen gegen weitere Atomkraftwerke sowie in Südbaden in der Verhinderung mehrerer geplanter Atomenergieanlagen gipfelte. Sie haben auf der Ebene aktiver Bürger Beispiele grenzüberschreitender Zusammenarbeit und Verständigung gesetzt. Sie haben hierdurch auch die offizielle regionale Zusammenarbeit befruchtet und vorangetrieben.

Ihre "Volkshochschule Wyhler Wald" hat über 13 Jahre auf besetzten Bauplätzen und in Dörfern und Städten der Region als Kommunikations- und Informationszentrum, als innovativer, volksnaher Bildungsträger, als "geistiges Kraftwerk", neu-alemannisches Kulturzentrum und Aushängeschild der Initiativen gewirkt. Aus dem Contra heraus wurden mit den populären Sasbacher Sonnentagen 1976-78 konkrete positive Energie-Visionen entwickelt, die sich als Öko-Spezialmessen in Rouffach/Elsaß, direkt aber als ÖKO-Messen in Freiburg sowie anderswo in Deutschland und anderen Ländern weiterentwickelten. Eine Reihe bedeutender Umweltschutz- und Alternativenergie-Vereinigungen der BürgerInnen sowie Ansätze zu einer Umwelt- und Solar-Modellregion am Oberrhein sind im Gefolge entstanden, gewachsen bzw. derzeit am Entstehen.

Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen, die in loser Form und mit einer ehrenamtlichen Geschäftsstelle auch heutzutage teilweise weiter bestehen *2), haben mit ihrem Wirken und ihrer Streitkultur auf schwierigem Feld - im Ringen mit dem Staat und Konzernen - ein Stück "Demokratie von unten" verwirklicht, das vor allem mit dem gemeinsamen Kampf um Wyhl auch weltweite Beachtung fand. Es zeigt über die Region am südlichen Oberrhein hinaus zahlreiche positive Folgewirkungen.

1. Das drohende "Ruhrgebiet am Oberrhein"

Die negative Vision einer "Rheinschiene" von Rotterdam bis Basel als die europäische Hauptwirtschaftsachse, verbunden mit einem "Ruhrgebiet am Oberrhein" und einer krebsartig in die Landschaft wuchernden Industrie-Megapolis, stand zu Beginn der Protestbewegungen am südlichen Oberrhein drohend im Raum. So schrieb der Staatsanzeiger Baden-Württemberg am 23.9.1972: "Rückt nämlich die EG noch näher zusammen, ...... so wird das Rheintal zwischen Frankfurt und Basel die Wirtschaftsachse überhaupt werden. Ob dann noch Platz für Umweltschutz ist, muß bezweifelt werden. (….)

2. Zur Vorgeschichte: Kaiseraugst, Fessenheim und Breisach:

- Der Widerstand gegen Atomkraft begann in der Region bereits um 1970

(…..)

3. "Marckolsheim" und "Wyhl"

und die Gründung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

In dieser Situation wollten die Chemischen Werke München (CWM) in Marckolsheim gegenüber von Sasbach am Kaiserstuhl ein Bleichemiewerk ansiedeln. Bereits die erste große Informationsveranstaltung der Gegner ist grenzüberschreitend bei den Hauptrednern: der Tierarzt M. Siegel, bald langjähriger Bürgermeister von Marckolsheim und der Mediziner Bühler aus Sasbach. Mehrere Tonnen Bleistaub würden jährlich verseuchend und krankmachend auf die Umgebung niederrieseln. Der Bleiskandal von Nordenham/Weser war frisch in Erinnerung. Umweltverseuchungen aus aller Welt werden bekannt. Der Club of Rome hatte vor weiteren und wachsenden Umweltproblemen eindringlich gewarnt. - Der Gemeinderat Marckolsheim lehnt die Ansiedlung knapp ab. Der Präfekt in Straßburg genehmigt trotzdem. 2000 Menschen demonstrieren im Juli 1974, 100 Traktoren fahren auf.

Etwa gleichzeitig machen die schon bestehenden Umweltvereinigungen und zahlreiche neue Bürgerinitiativen mobil gegen das geplante Atomkraftwerk Wyhl: fast 100 000 Unterschriften für die Sammeleinwendung gegen das Atomkraftwerk. Der Erörterungstermin im Juli 1974 scheitert aus Sicht der Atomkraftgegner. Die Bürgerinitiativen und ihre Aktiven verlassen unter massivem Protest demonstrativ den Saal. Die Landesregierung will das Projekt weiterhin durchboxen.

Am 25.8.1974 bilden die "Badisch Elsässischen Bürgerinitiativen" in Weisweil * ihr Internationales Komitee und erklären als 21 Initiativen - 11 badische und 10 französische - zweisprachig auf deutsch und französisch sowie symmetrisch gegen das Atomkraftwerk Wyhl und das Bleiwerk Marckolsheim nach eindringlicher Begründung:

".... Deshalb haben wir beschlossen, die vorgesehenen Bauplätze für das Atomkraftwerk Wyhl und das Bleiwerk in Marckolsheim gemeinsam zu besetzen, sobald dort mit dem Bau begonnen wird. Wir sind entschlossen, der Gewalt, die uns mit diesen Unternehmen angetan wird, solange passiven Widerstand entgegenzusetzen, bis die Regierungen zur Vernunft kommen."

(* Nachbardorf von Wyhl; 1. Erklärung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen: Wyhl-Buch I S. 239)

Diese Erklärung wurde weit verbreitet und erschien bald auch als Anzeige in der Badischen Zeitung. Die unmißverständliche Kampfansage an die Vorhaben und die Selbstermächtigung der Initiativen gegenüber den Regierungen mußte aus der Sicht der Betreiber bzw. der Behörden als schockierende Ungeheuerlichkeit, als Aufkündigung des Gehorsams gegenüber der Staatsgewalt gewertet werden. Ohne Gespür für die Belange der Betroffenen gibt es weiter grünes Licht für die Betreiber. Aus der Sicht der Bürgerinitiativen und ihrer Aktiven springt aber auch die Verzweiflung ins Auge: Man sah aus der Erfahrung der vorangegangenen Jahre heraus keine andere Chance, die bedrohlichen Projekte zu verhindern. Man sah sich wie in einer schicksalhaften Tragödie gezwungen, das Angekündigte auf sich zu nehmen.

Auch die Begründung in der Erklärung weist eine selbstbewusste, kraftvolle, dramatische und zugleich bewundernswerte Sprache auf: Sie fasst die Erfahrungen und das Wissen der Initiativen konzentriert und zugespitzt zusammen und gipfelt in den Aussagen

im Atom-Teil:

....weil wir nicht abwarten können bis die Katastrophe da ist

....weil wir nicht abwarten können, bis diese Illusionen explodieren (gemeint sind die Pro-Atom-Parolen und Illusionen der Betreiber und Regierungen)

...weil wir nicht dulden können, dass unser Recht derart missachtet wird

und im Bleichemie-Teil:

dass wir alle jetzt verantwortlich handeln und die Zukunft unserer Kinder verteidigen müssen.

Die Aussagen im Atomteil nehmen beinahe prophetisch die Katastrophen von Harrisburg (1979) und Tschernobyl (1986) vorweg. Die moralische Grundlage entspricht Menschenrechten, auf deutscher Seite speziell den Grundrechten auf Menschenwürde (Art.1) , hier gegenüber zu gefährlichen Technologien sowie auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2.2.) und Eigentum (Art. 14), hier der BürgerInnen. Vorweggenommen werden hier u.a. auch die Erklärung von Kardinal Höffner 1979 zur Atomenergie und die spätere Erweiterung des deutschen Grundgesetzes für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen (Art. 20 a.).

Am 25.8.74 treten die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen als solche erstmals öffentlich auf - bei der großen Demonstration gegen das AKW Wyhl und das Bleiwerk Marckolsheim. Die MitbürgerInnen werden mit einer groß angelegten Aktion über Marckolsheim und Wyhl informiert.

Vier Wochen später wird der Bauplatz in Marckolsheim gut geplant grenzüberschreitend gemeinsam und zunächst auf Dauer besetzt. Zur Räumung bereitstehende Polizei wird nicht eingesetzt. Auf dem Platz wird ein Freundschaftshaus für die Besetzer errichtet - Architektur: keltischer Holz-Rundbau. Der Präfekt lässt daraufhin zwei Rheinbrücken für Fahrzeuge aus dem Kreis Emmendingen sperren, um die Initiativen zu spalten. Südbadische Bauern und Umweltschützer besetzen daraufhin die Brücken zwecks völliger Sperrung und werden hierbei in Deutschland und Frankreich über die Presse national bekannt. Bei den Gemeinderatswahlen in Marckolsheim gewinnen die strikten Gegner des Bleiwerks. Die BürgerInnen müssen jedoch noch bis zum 25.2.1975 warten , zwei Tage nach der erfolgreichen Wiederbesetzung des Baugeländes in Wyhl, bis sie von der französischen Regierung aus Paris mehr als drei Monate alte Gerüchte schriftlich bestätigt erhalten, dass die Platzbesetzer auch die Hauptsache gewonnen haben: Das Bleichemiewerk wird nicht gebaut. Die Bauern säen nun Weizen auf dem Gelände an....

Heute kann man sich die ungeheure Dramatik der damaligen Monate, ja Jahre, und die intensive körperliche und seelische Anspannung der beteiligten BürgerInnen kaum vorstellen. Vor allem auch die Frage des zivilen Ungehorsams und gewaltfreien Widerstandes bei Platzbesetzungen und gegen die Staatsgewalt führte zu langen Diskussionen.

Solange Fernex (CSFR, Ecologie et Survie, später MdEP der Verts) bewertete Marckolsheim wie folgt (Fernex 1975, Jean 1976):

(……)

Dichter und Sänger wurden zu den anstehenden Themen aktiv. Fast 50 Lieder, meist nach elsässischen Mustern, entstanden binnen eines Jahres von aktiven Umweltschützern, teils Liedermacher, teils Bauern oder Studenten.

Der Naturschutzwart M. Schwörer aus Wyhl brachte es auf den Punkt in Marckolsheim: (übersetzt aus dem Alemannischen):

"ich mein´ grad, etwas profitieren wir doch bei dem ganzen Krieg, der über uns geht. Wir sehen wieder einmal, dass wir zusammengehören, .... mit unserer eigenen Sprache...., die sie in Paris nicht verstehen, die sie in Bonn nicht verstehen und die sie in München auch nicht verstehen." (in Jean, 1976)

Der Elsässer André Weckmann fasste das kaum fassbare Geschehen in wenigen Zeilen zusammen und dichtete

En Marckelse hets aangefange, (.....)

en Marckelse han mer s guldene kalb gstoche,

en Marckelse han mer d demokratie entdeckt,

en Marckelse han mer d granze gesprangt (.....)

Anfang Oktober 1974 entstand von Walter Mossmann, zunächst unter dem Pseudonym Jos Fritz, einem Anführer im Bauernkrieg des 16. Jh., als Kampflied zu Marckolsheim und Wyhl die Ballade "Die Wacht am Rhein". Schon dieser Titel und die entsprechende Stelle "gemeinsam eine andere Wacht am Rhein" in der ersten Strophe sind entscheidend und Symbol: Die bekannte Wochenzeitung Stern schrieb bald dazu über Marckolsheim eine große Reportage mit dem Titel "Die Wacht am Rhein". Auch ein zweites Hauptlied gegen Großchemie und Atomkraft, das neu-alemannische "In Mueders Stübele" - nach einem alten Bettlerlied - ist sich der ganz neu und anders kriegsähnlichen Situation bewusst:

Heute und bei der anderen Wacht am Rhein sind die Gegner der Region beiderseits des (südlichen) Oberrheins, die kriegerisch und oft quasi wie Besetzer die Region heimsuchten

- nicht die Fürsten des Spät-Mittelalters, als "die Grenze zwischen oben und unten" verlief,

- nicht Habsburg/Österreich,

- nicht Preußen wie 1848/49 als Zerstörer der badischen demokratischen Revolution,

- nicht wie z.B. 1870/71 und später Frankreich bzw. Preußen/Deutschland.

Sondern es sind umwelt-, heimat-, existenz- und lebensbedrohende Industrien, hinter denen großes Kapital steht und die von den Regierungen begünstigt werden.

Aber etwa in Analogie zum frühen 16. Jahrhundert: Aktive, betroffene Teile der Bevölkerung beiderseits des Rheins, aus dem Elsaß und aus Baden, wehren sich grenz- bzw. rheinüberschreitend gemeinsam. Man will sich nicht gegeneinander ausspielen lassen und weiß, dass Umweltverschmutzung und Atomgefahren an Grenzen und am Rhein nicht haltmachen. Eine neue Art badisch-elsässischer Freundschaft entsteht. (Näheres siehe z.B. die Beiträge von W. Mossmann im "Wyhl-Buch I", 1976)

Der gesamte Block dieser identitätsstiftenden Widerstandskultur umfasste aber neben Liedern und Dichtung noch viel mehr: Filme, Fotos, Zeitungen wie "Was wir wollen" und - um Wyhl - den "Umwelt-Boten", Transparente, Aufkleber, Leserbriefe, Vorträge, Demonstrationen, Reden. Walter Mossmann dazu: "(wir) konsumieren ... diese Kultur nicht mehr, die uns einschläfert, indem sie vorgibt, uns zu unterhalten und zu informieren. Wir machen unsere eigene Kultur." (in Jean, 1976) Was hierzu in Marckolsheim und Breisach begann, wurde beim weiteren Kampf gegen die Atomkraftwerke Fessenheim (in Betrieb ab 1977), Wyhl (geplant) fortgesetzt, erweitert 1977 durch das elsässische Piratenradio "Radio Verte Fessenheim (später legal als "Radio Dreyeckland" aus Freiburg), vor allem aber durch die wandernde freie "Volkshochschule Wyhler Wald" der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen (1975-1988) und durch ab 1976/77 beginnende Ansätze zu einer "Solar-Kultur" in der Region (weiter siehe Teile 4 und 8).

4. Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

und der lange Kampf um das Atomkraftwerk Wyhl

4.1. Eine Bauplatz-Besetzung macht Geschichte

Was war geschehen? Die Kernkraftwerk Süd, gemeinsame Betreibergesellschaft von Badenwerk/ Energieversorgung Schwaben EVS, und die Landesregierung waren 1972/73 vor dem massiven Protest der Kaiserstühler Bevölkerung gegen das bei Breisach geplante Atomkraftwerk zum einige Kilometer nördlich gelegenen Standort im Rheinauenwald bei Wyhl (sprich "Wiel") ausgewichen. Fast 100 000 Unterschriften werden für Einwendungen gesammelt. Der Gemeinschaftseinspruch junger NaturwissenschaftlerInnen der Universität umfasst 111 Seiten. Im Gefolge wachsender Proteste und Enttäuschung über die aus Atomgegnersicht empörende Einseitigkeit der Landesregierung kommt es am 18.2.1975, einen Tag nach Baubeginn, d.h. Rodung eines Waldstücks im Rheinwald, zur dramatischen Zuspitzung, der ersten Wyhler Bauplatzbesetzung durch einige hundert Personen aus der Region. Dies erfolgt wie in der ersten Erklärung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen (s.o.) von 1974 angekündigt. Zwei Tage später wird der Platz gegen den passiven Widerstand von 150 Besetzerinnen und Besetzer polizeilich brutal geräumt und mit Panzerdraht umzäunt. 10 Elsässer sind unter den über 50 gezielt Festgenommenen. Am 23. Februar gelingt es anläßlich einer Großkundgebung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen mit über 20 000 Teilnehmern, den Bauplatz trotz polizeilicher Bewachung erneut und zunächst auf unbestimmte Zeit zu besetzen. Auch hierbei sind viele elsässische Bürgerinnen und Bürger mit großem persönlichen Einsatz wieder aktiv (dazu siehe Berichte im Wyhl-Buch I, 1976)

Diese Geschehnisse sind in den "Wyhl-Büchern I und II" (Wyhl, 1976, Wyhl, 1982) von über 30 bzw. 42 deutschen und französischen Autoren aus Reihen der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen und in vieler weiterer Literatur ausführlich dargestellt (z.B.: Wüstenhagen, 1975;Gladitz 1976; Sternstein 1978). Wichtig ist auch, dass die Wyhl-Bücher kein Produkt politischer Resignation sind, sondern jeweils das Ende einer ersten Phase und den Beginn einer zweiten des Kampfes um Wyhl darstellen, mit dem Willen zu lernen und die Stärken und Schwächen zu kennen und weiterzukämpfen (siehe auch Vorwort im Wyhl-Buch I, 1976)

4.2. Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen zu beschreiben, ist ein "kühnes Unterfangen", so schon der Stuttgarter Konfliktforscher Wolfgang Sternstein (in Wyhl -Buch I). Das gilt entsprechend auch für deren grenzüberschreitende Kooperation. Viele ihrer Mitgliedsinitiativen waren für ihre Gegner kaum berechenbar und unfassbar. Das Bundesforschungsministerium setzte eigens Forscher des Batelle-Instituts zur Erkundung der Bürgerinitiativen an. Die folgenden Absätze greifen teilweise Sternsteins Ausführungen von 1976 und 1978 (Sternstein 1978) auf und ergänzen sie. (…….)

(1) Mit ihrer Entschlossenheit, das Atomkraftwerk Wyhl, ein Milliardenprojekt, und das Bleichemiewerk zu verhindern,

mit ihrer Macht zu informieren, fast 100 000 Menschen zu Einwendungen und fast 30 000 Menschen in den Wyhler Wald zu moblisieren und

dem "langen Atem" vieler Menschen, sich jahrelang intensivst zu engagieren,

sind die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen wie die nordwestschweizerischen Atomgegner ein neuer Faktor in der Atom- und Umweltkontroverse im Mitteleuropa.

(2) Mit Wyhl als Beispiel und Symbol sowie den folgenden massiven Protesten gegen andere Standorte in Deutschland und anderswo stand die Atomenergiepolitik der Bundesrepublik, der Europäischen Gemeinschaft sowie anderer Staaten auf dem Spiel. "Wenn Wyhl Schule macht ..." wird das Land - in der bisherigen Form - "unregierbar", nannte es die Landesregierung in Stuttgart für ihren Bereich. "Wyhl" hat nicht nur badisch-elsässische oder baden-württembergische, sondern über Deutschland und Frankreich hinausgehende internationale Bedeutung (siehe auch Abschnitt 8)

(3) Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen umfassen schon bald nach ihrer Formierung mit der Erklärung der21 Initiativen vom August 1974 rund 50 Initiativen und Vereinigungen, die auch auf den weiteren gemeinsamen Erklärungen von 1976 und 1982 einzeln aufgeführt sind. Sie setz(t)en sich zusammen aus vier Arten von Gruppen:

((4)…(5))

(6) Die Arbeitsweise der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen bestand aus folgenden Kernpunkten:

1. Beschaffung und Verbreitung von Informationen.

Hierzu dienten neben Pressearbeit, Infoblättern, Plakaten, Informationsständen, Podiumsdiskussionen, Briefen, Vorträgen, Büchern, Fotos, Filmen usw. auch eigene oder nahestehende Publikationsorgane und Instrumente:

- "Der Umwelt-Bote" der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen: ein über 18 Jahre hinweg in vielen Dörfern im und am Kaiserstuhl an alle Haushalte verteiltes Infoblatt zu aktuellen Fragen, das in wichtigen Situationen jeweils über 10 000 Menschen direkt erreichte (…..)

- "Was wir wollen", erstellt aus Reihen nicht formell in die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen eingebundener Aktiver, eine aktuelle Zeitung (anfangs als Platzbesetzerzeitung), die über mehrere Jahre zu Marckolsheim, Wyhl, Fessenheim, Kaiseraugst, Heiteren, Gerstheim und aus aller Welt Berichte und Erfahrungen einbrachte.

- Radio Verte Fessenheim, zunächst seit Juni 1977 illegal im Elsaß, später als "Radio Dreyeckland" legal in Freiburg

- die Volkshochschule Wyhler Wald: Sie wirkte am langfristigsten und auch außerhalb des Kaiserstühler Bereichs. Sie war aktiv von ihren ersten Veranstaltungen im April 1975 auf dem besetzten Platz in Wyhl bis 1988, mit 80 Vierwochenprogrammen und annähernd 600 Veranstaltungen am südlichen Oberrhein, davon allerdings nur einige im Elsaß, dort vor allem bei Heiteren in den Monaten der Strommastbesetzung. Sie war kostenlos und wurde ehrenamtlich organisiert. Niemand erhielt Honorar.

Die wandernde Volkshochschule Wyhler Wald war treffend gesagt ein "geistiges Kraftwerk" gegen das geplante Atomkraftwerk. Sie bildete eine Grundlage für die Dauerhaftigkeit des Widerstandes. Sie wirkte als ein Kommunikations-, Informations- und Kulturzentrum der Bürgerinitiativen.

(……)

(7) Die Organisationsstruktur der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

Die Struktur der Mitglieder reichte von spontan gebildeten Initiativen bis zu formalen Vereinen. Viele waren nur örtliche, andere waren flächenhafte Organisationen. Das galt für die badische und die elsässische Seite. Parteiorganisationen waren ausgeschlossen. Formiert hatten sich die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen wie oben geschildert ab dem 25.8.1974 mit ihrem

- internationalen Komitee als Gremium für Entscheidungen. Bei Abstimmungen erhielt jede Initiative ab Mai 1975 nur eine Stimme.

- Später ging man zur Delegiertenversammlung über.

- Einladungen erfolgten alsbald durch die ehrenamtlich geführte Weisweiler Geschäftsstelle.

- Gewählt für Verhandlungen mit der Landesregierung Baden-Württembergs wurden eine fünfköpfige Verhandlungsdelegation, die begrenzte Kompetenzen erhielt, und eine 18köpfige erweiterte Verhandlungskommisssion..

- Im Herbst 1975 wurde ein Arbeitsausschuß (mit 2 elsässischen Mitgliedern) eingerichtet mit Aufgabe, das Internationale Komitee bzw. die Delegiertenversammlung zu unterstützen und die

- Arbeitskreise, d.h. die "Volkshochschule Wyhler Wald", "Der Umwelt-Bote" und "Öffentlichkeitsarbeit" (u.a: Pressesprecher) sowie die (Besetzer-)Zeitung "Was Wir Wollen" zu koordinieren und ggf. Streit zu schlichten.

Für die Platzbesetzung und - ab Beginn der Verhandlungen mit der Regierung - für die Platzbewachung wurden dörferweise Besetzerpläne aufgestellt, bei denen sich die benachbarten Elsässer beteiligten.

Später, ab 1978, kamen weitere Arbeitskreise hinzu (siehe auch Teil 5):

- die Internationale Kontrollkommission zu Fessenheim (IKK)

- die von Freiburg aus koordinierte Arbeitsgruppe Fessenheim.

(8) Die Erfahrungen und Lehren aus dem Wirken der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

sind zahlreich (im folgenden in Erweiterung von Ausführungen Sternsteins, Sternstein 1976, 1978).

Zum einen ist die Einmaligkeit der Situation zu beachten:

Zum anderen war das Umfeld günstig:

(…)

Entscheidende weitere Gründe für den großen Erfolg der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen waren nach Auffassung verschiedener Beobachter die drei Grundsätze:

Als wesentlich sind auch folgende Prozesse anzuführen:

Kurz: Der Souverän war erwacht. Die Geschlossenheit des Widerstandes war beispielhaft, die Loyalität der von den Aktivisten der Region als Menschen wahrgenommen Polizei "schwindend", die anders wiederum die Aktiven der Bürgerinitiativen überwiegend als seriöse BürgerInnen wahrnehmen konnte - ziemlich anders als bei vielen späteren Antiatomkämpfen in Norddeutschland und z.B. in Malville/Rhone.

4.3. Die "Offenburger Vereinbarung" - ein Staatsvertrag.

Die zweite Erklärung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

Die Landesregierung versuchte, den illegalen Zustand des besetzten Bauplatzes angesichts der Stärke der Bürgerinitiativen schließlich durch Verhandlungen zu beenden. Die Bürgerinitiativen ließen sich unter dem Druck drohender polizeilicher Räumung und schwerer finanzieller Schadenersatzansprüche und Strafandrohungen gegen die Initiativen (800 Mio. DM) und Einzelpersonen (bis 0,5 Mio. DM) darauf ein und erklärten, dass der besetzte Bauplatz während der Verhandlungen verlassen, aber bewacht bleibe.

In der sogenannten "Offenburger Vereinbarung" vom 31. Januar 1976 zwischen Land, Bürgerinitiativen und dem Betreiber Kernkraftwerk Süd KWS (100%ige Tochter des Badenwerk und der Energieversorgung Schwaben) wurde hauptsächlich vereinbart (siehe auch Wyhl-Bücher I und II):

(…..)

Nach einem Jahr Streit zwischen Land und Bürgerinitiativen um die Unabhängigkeit der Gutachter sowie um den Inhalt und die Unvollständigkeit der Gutachten im Gefolge der Offenburger Vereinbarung erklärte das Land im Dezember 1977 die Erfüllung der Offenburger Vereinbarung. Die Bürgerinitiativen stellten die Nichterfüllung der Offenburger Vereinbarung fest (Wyhl-Buch II, 1982). Voraussetzung für Ihre Annahme der "Offenburger Vereinbarung" waren u.a. folgende die Grundsätze:

Zu diesen Punkten sei auf die Anmerkungen zum Demokratieverständnis in Anschnitt 4.2. hingewiesen.

4.4. Der Rechtsweg - wichtige Rückendeckung, aber schließlich enttäuschend.

Die dritte Erklärung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

Die wichtigen Erfolge der Wyhl-Kläger 1975 im Sofortverfahren vor dem Verwaltungsgericht Freiburg und der Sieg im März 1977 im Hauptsacheverfahren ebenfalls vor dem Verwaltungsgericht Freiburg gab den Bürgerinitiativen, für die stellvertretend einige Bürger klagten, jeweils die erhoffte zeitliche Rückendeckung bis zum November 1981, der Niederlage im Hauptsacheverfahren beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Während das Verwaltungsgericht Freiburg Sicherheit vor Reaktorkatastrophen und deswegen eine Berstsicherung für den Reaktordruckbehälter verlangte, versagten die höhere Instanz in Mannheim und das Bundesverwaltungsgericht aus Bürgerinitiativen-Sicht mit ihren abweisenden Urteilen Anfang und Mitte der 80er Jahre (siehe u.a. "Der Umwelt-Bote" 30 und 35). Schließlich war doch nach Harrisburg (USA, 1979) und diversen Beinahe-Unfällen sowie mit der offziellen Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke (Phase A, 1979; erst recht mit deren Phase B, 1989) erneut klargestellt: Schwere Unfälle und Katastrophen bei Atomkraftwerken sind real möglich und können jederzeit beginnen. Eine Konsequenz: Der Atomkraftwerksbetrieb widerspricht den Grundrechten der BürgerInnen auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie auf Menschenwürde. Dies ergibt sich aufgrund der vorgenannten Fakten in Verbindung mit dem sogenannten Kalkar-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom September 1978.

Mit der auch finanziellen Solidarität vieler MitbürgerInnen, die den Klageweg per "Rechtsschutz-Bon" unterstützten, und einiger Gemeinden um Wyhl konnte den Wyhl-Klägern die große finanzielle Last der hohen Prozesskosten abgenommen werden.

Das Wyhl-Buch-II mit Anhang zum Mannheimer Urteil, erneute Großveranstaltungen in Sasbach im Januar 1982 und Aktionstage am Oberrhein vom 16-18. Sept. 1982 von Marckolsheim über den Kaiserstuhl bis Kaiseraugst/Basel mit Kundgebung und "Beistandspakt" am Rhein in Wyhl sind Reaktionen auf die neue Lage. Und die "Dritte Erklärung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen zu Wyhl", beschlossen von ihren Delegierten am 2.4.1982 in Forchheim bei Wyhl stellt klar (wiedergegeben im separaten Anhang des Wyhl-Buchs II):

"In Wyhl hat die Bevölkerung selber Geschichte gemacht; in Wyhl fällt die Entscheidung über unsere Zukunft. ....Von Wyhl ging eine demokratische Hoffnung aus und die Erkenntnis, dass die Menschen nicht zwangsläufig ihre Lebensgrundlagen zerstören müssen"

"... unser Lebensraum hört nicht an der Landesgrenze auf.."

"...Deutsche, schweizerische und französische Betreiber machen überall in unserer Region nationalistische Propaganda, um dann ein AKW hinter das andere an den Oberrhein zu setzen."

Die Initiativen verlangen die Stillegung Fessenheims und würden ein Atomkraftwerk auch in Marckolsheim gemeinsam verhindern.

Im Falle Wyhl drohen die Initiativen der Landesregierung, sollte diese versuchen, den Bau gewaltsam durchzusetzen, mit äußerstem gewaltfreien Widerstand, ja mit Unregierbarkeit, z.B. mit Grenzblockaden von beiden Seiten. Und:

".. wir erklären, dass wir kein Recht haben, unseren Widerstand aufzugeben, wir tragen auch die Verantwortung für unsere Kinder..... wir haben einen langen Atem".

4.5. Allmählicher weiterer Rückzug der Landesregierung und endgültiger Verzicht auf Wyhl

Der "lange Atem" und die intensive weitere Informationsoffensive der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen, ab Anfang der 80er Jahre verstärkt zusammen mit der Landesgeschäftsstelle des im Gefolge von Wyhl besonders hier, aber auch landesweit stark gewachsenen Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Freiburg, führten 1982/83 zu Gemeinderatsmehrheiten in nahezu allen Städten und Gemeinden des mittleren und nördlichen Breisgaus.

Im Juni 1983, acht Jahre nach "Wyhl", im 4. Anlauf nach intensiver Lobbyarbeit, "fällt" (Analogie zum Bauernkrieg 1525 ?) endlich auch der Gemeinderat Freiburg mit einer Stimme Mehrheit, der des Oberbürgermeisters Dr. Rolf Böhme, und lehnt das Atomkraftwerk Wyhl ab (Badische Zeitung, 29.6.1983). In Freiburg hatte sich zuvor eine von den dortigen Bürgerinitiativen erzwungene offizielle Bürgerversammlung nachdrücklich gegen das Atomkraftwerk Wyhl ausgesprochen.

Das Land zog sich in der Folge unter Ministerpräsident Lothar Späth schrittweise weiter von den Wyhl-Planungen zurück. Aber erst im Frühjahr 1994 wurde das bisherige Bauvorhaben der zwei Wyhl-Reaktoren endgültig eingestellt, später auch die Standortsicherung in der Landesplanung zurückgezogen, der Messmast abgebaut, das Gebiet auf Drängen der bürgerlichen und behördlichen Umwelt- und Naturschützer unter Naturschutz gestellt. Das Gelände gehört aber weiterhin den Betreibern, die es nicht rückverkaufen wollen, was die Bürgerinitiativen misstrauisch hält.

5. Fessenheim (II) und die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen:

Breite Proteste und die Kontrollkommissionen

Der Wind wehe meist ins Badische, beruhigte ein Bürgermeister dem Vernehmen nach seine elsässischen MitbürgerInnen. Der Baubeginn der beiden Reaktoren war Anfang 1971, die Inbetriebnahme 1977. Große Demonstrationen fanden seit Mai 1971 statt, 1972 ausdrücklich als grenzüberschreitender Protest, im Mai 1975 erstmalig als Veranstaltung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen. Die Klagen elsässischer Umweltschützern gingen 1978 verloren. - Zuvor, im Herbst und Winter 1976/77 steigern die elsässischen Atomgegner ihre Anstrengungen nochmals erheblich. Eine große Koalition von Vereinigungen, Kommunalpolitikern und Persönlichkeiten fordert vor Inbetriebnahme die Erfüllung von vier "Grundgarantien":

Ein über dreiwöchiger Hungerstreik von Atomkraftgegnern in Roggenhouse, darunter die spätere Europaabgeordnete Solange Fernex, erreicht zwar große Solidarität in der Bevölkerung, auch über das Elsaß hinaus, aber in der Sache nur die Einsetzung der (nationalen) Kontrollkommission aus Generalräten, Bürgermeistern und Vertretern von elsässischen Bürgervereinigungen (siehe Wyhl-Buch II). Die Kommission besteht auch heute noch und stellt Fragen an die Werksleitung.

Der Katastrophenplan wird den Bürgerinitiativen in Teilen zugespielt und von ihnen im März 1977 in Freiburg unter den Augen der Staatsanwaltschaft der Öffentlichkeit vorgestellt: der Planinhalt ist katastrophal - er schützt sozusagen den Ablauf der Katastrophe (Fessenheim 1980a). Die Behörden sind verärgert, Gespräche der Initiativen mit Landtag und Landesregierung in Stuttgart zum Thema erbringen nichts Wesentliches. Die Landesoberen wirken wie zuvor bei Wyhl parteiisch pro Atomkraft. Die überwiegend landeseigene Badenwerk AG hatte sich nämlich an den Baukosten von Fessenheim beteiligt und sich dadurch bei den beiden 900 MW-Blöcken Bezugsrechte in Höhe von insgesamt 300 MW (Megawatt) elektrischer Leistung gesichert. Weitere 300 MW gehen entsprechend in die Schweiz.

(…..)

Ein Teilerfolg waren Anzeichen, dass die Blöcke3 und 4 von Fessenheim nicht gebaut werden:

(….)

Aktive der Bürgerinitiativen fürchten aber, die EDF könnte eines Jahres als Ersatz für die bisherigen Reaktoren einen neuen Antrag für einen sogenannten Euro-Reaktor stellen, der in Westfrankreich bei Nantes/Le Carnet wegen zu großen Widerstands der Bevölkerung bisher nicht errichtet werden konnte.

Die Aktivitäten der Bürgerinitiativen lassen in den Folgejahren zumindest vorübergehend nach. 2001 gelingt wieder eine große Demonstration in Colmar für den Atomenergie-Ausstieg, zusammen mit dem gesamtfranzösischen Anti-Atomnetzwerk Sortir du Nucléaire. Südbadische Atomgegner sind auch als Redner vertreten..

6. Heitersheim, Schwörstadt, Gerstheim, Heiteren

Weitere weniger breit bekanntgewordene Brennpunkte des Widerstandes von BürgerInnen und Bürgerinitiativen gegen Atomkraft am südlichen Oberrhein sind die folgenden vier Orte:

(…)

7. Die "vierte" (Europa-) Erklärung der Badisch-Elsässischen

Bürgerinitiativen von 1991 und die Wyhler Jahrestage

(…)

8. Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen im Rückblick und heute.

Auswirkungen und Folgewirkungen

8.1. Unterstützung des Widerstandes bei Atomstandorten außerhalb der Region

Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen betrieben keineswegs "Sankt-Florians-Politik", was auch einer ihrer Wahlsprüche "Kein Atomkraftwerk in Wyhl und anderswo" beweist. Vielmehr (…..)

Das Interesse reißt auch nach 2000 nicht ab. Ein neuer Anziehungspunkt ist seit 2000 der Gedenkstein der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen im Wyhler Wald, nun mit ausdrücklicher Zustimmung der Gemeinde und des Gemeinderats von Wyhl.

8.2. Denk-Male

Viele deutsche Märchen enden mit "Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute". Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen haben da vorgesorgt:

Sie haben zum Nachdenken, zur Erinnerung und für ihre weitere Wirkung selber "Denk-Male" gesetzt:

- ihre großen Erfolge: Marckolsheim, Wyhl, Gerstheim und weitere Wirkungen

- ihr - ungenügender -Teilerfolg bei Fessenheim

- ihr Widerstand als Symbol und Beispiel für viele andere Atom-Standorte

- ihre vier Erklärungen,

- die Offenburger Vereinbarung,

- die Wyhl-Bücher, die Filme und Fotos, die Lieder, Dichtung und Sprüche, die Aufkleber und

Plakate, die Umwelt-Boten, die Programme der "Volkshochschule Wyhler Wald", die Ausgaben

von "WasWirWollen", die vielen anderen Erklärungen und Tausende Einzeldokumente,

- seit 2000 den Gedenkstein "Nai hämmer gsait!" im Wyhler Wald nahe dem früheren Bauplatz.

- die Veränderung in den Köpfen und Herzen vieler Menschen,

- die Überwindung der Rheingrenze und einen Anschub zum Abbau der Grenzen am Oberrhein.

(…..)

Die Bürgerinitiativen am Oberrhein haben viele Erfolge gehabt. Aber es kann auch noch alles vergebens sein, falls im Atomkraftwerk Fessenheim oder auch bei entsprechenden Windrichtungen in den nordwestschweizerischen Atomkraftwerken und anderswo schwere Unfälle passieren. In ersteren Fällen könnte das Dreiländereck unbewohnbar werden, mit Millionen Opfern.

(…..)

8.3. Weitere Folgewirkungen und Nachwirkungen der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

Die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen haben in verschiedenen Schichten der Bevölkerung über die "heißesten Jahre" 1974-77 hinaus ein großes Potential an geistiger Energie und Folgewirkungen freigesetzt. Hierzu eine Reihe von Informationen und Thesen:

((1),…,(16))

9. Schlussbemerkungen

In Marckolsheim und Wyhl und zu Fessenheim haben die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen mit ihrer grenzüberschreitenden Kooperation Geschichte gemacht. Sie haben im Ringen mit dem Staat und den Konzernen ein Stück kämpferischer "Demokratie von unten" gelebt, das weltweite Beachtung fand und nicht nur am südlichen Oberrhein positive Folgewirkungen zeigt.

Einerseits kann zum Beispiel durch einen großen Atomenergieunfall im Dreiländereck die Arbeit der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen in der Region weitgehend vergebens werden. Andererseits aber kann als eine Spätfolge am Oberrhein - trotz des dortigen großen Entwicklungsdrucks als eine zentrale Region der EU - immer noch eine europäische Modellregion für ökologische Energie und für die Entwicklung von Nachhaltigkeit entstehen. Dafür müssen jedoch die technischen, geistigen, gesellschaftlichen und politischen Potentiale von der regionalen Politik und den hiesigen Institutionen viel intensiver in diese Richtung genutzt werden. Bei der Oberrheinkonferenz, beim Oberrheinrat sowie am deutlichsten bei der RegioTriRhena (siehe oben) sind hierfür bisher nur zarte Ansätze erkennbar. Aus Erfahrung der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen sprechend, wird es nötig sein, dass aktive Teile der Bevölkerung und ihre Vereinigungen die Politik und Wirtschaft hierzu ein gutes Stück anschieben.

Dr.rer.nat. Georg Löser, Gundelfingen/Freiburg i.Br., im April 2002

Anhang 1: Widmung und Danksagung

Dieser Beitrag ist den Mitstreiterinnen und Mitstreitern der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen gewidmet und allen, die sich für sie und ihre Ziele eingesetzt haben und für sie oder in ihrem Sinne weiterarbeiten.

Besonders gedankt sei für freundlichen Rat bzw. Öffnung der Archive: Lore Haag (Geschäftsstelle der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen, Weisweil *2)), Erhard Schulz (vormals BUND-Landesgeschäftsführer), dem Archiv für Soziale Bewegungen in Freiburg, Solange Fernex (Alter Alsace Energies, CSFR), Axel Mayer und Jean-Paul Lacote (Aktion Umweltschutz e.V. - BUND Regionalverband), Dr. Frank Baum (Bürgerinitiative Umweltschutz Staufen). Dem Staatsarchiv Freiburg, insbesondere Dr. Kurt Hochstuhl und Dr. Martin Stingl, sei besonders gedankt für das Aufgreifen des Themas und die Ermutigung, meiner Familie aber für die viele Geduld.

Anhang 2: zum Autor

Dr.rer.nat. Georg Löser, Diplomphysiker, Jg. 1948

- ehrenamtlicher Mitarbeiter der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen

- unabhängiger Energie- und Umweltexperte

- Autor u.a. zahlreicher Fachbeiträge, Energieprogramme und populärwissenschaftlicher Broschüren.

- Ende 2000 Gründer und seitdem Leiter des Stiftungsfonds <ECO-Stiftung für Energie-Klima-Umwelt>

- seit Ende 2002 Vorsitzender von ECOtrinova e.V., vormals Arbeitsgemein. Freiburger Umweltinstitute

- Gründer und Chefredakteur der ECOtrinova-Nachrichten für Ökologie, Region, Dreiländereck D-F-CH

- Initiator/Leiter des Netzwerks Energie-3Regio von 30 Vereinen im Dreiländereck, www.energie-3regio.net

- 1971-76 Physikstudent in Freiburg und aktiv in der Hochschulgruppe der Aktion Umweltschutz e.V.

- Fulbright-Stipendiat 1972/73, Graduiertenstipendium der Evang. Studienstiftung Villigst1976-78

- Promotion an der Fakultät für Biologie der Universität Freiburg

- 1978-2000 wissenschaftlicher Angestellter/Koordinator des Bund für Umwelt und Naturschutz

Deutschland (BUND) Landesverband Baden-Württ. e.V. in der Landesgeschäftsstelle in Freiburg i. Br.

- bis 2001 langjährig Leiter/Co-Leitung des Bundesarbeitskreises Energie des BUND

- Mitglied des Beirats der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg seit 1995

Anhang 3: Quellenverzeichnis und ausgewählte Literaturhinweise:

(…)

Anhang 4: Ausgewählte Abbildungen des Vortrags vom 12.4.2002

© Dr. Georg Löser, Weiherweg 4B, D-79194 Gundelfingen, im April 2002

BEBILFE6AuszugInternet0408RVBIs aus: GL-Veröff/BEBILFE6.rtf/040825

*****************************************************************************

PS vom 25.8.2004:

Die obigen Auszüge umfassen knapp die Hälfte der Langfassung.

Die Pressemitteilung vom 18.3.2004 und Kurztexte sind separat oder beim Autor erhältlich (georg.loeser(at)t-online.de)

**) veröffentlicht in: Georg Löser:

"Grenzüberschreitende Kooperation am Oberrhein -

die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen"

Broschüre (Sonderdruck) zu 30 Jahren Bürgeraktivitäten (1971/2 bis 2002)

für eine atomenergiefreie Zukunft ohne Giftchemie. 72 S., 16 Abb..

Anhang: Podiumsdiskussion "Grenzüberschreitende Kooperation am Oberrhein".

In: "Deutsche und Franzosen im zusammenwachsenden Europa, 1945-2000",

Hrsg. Kurt Hochstuhl, Serie A Heft 18, Hrsg. Landesarchivdirektion Baden-Württemberg, Stuttgart, 2003

Hinweis: Der Sonderdruck ist die Langfassung des Vortrags mit obigem Titel beim Kolloquium "Deutsche und Franzosen im zusammenwachsenden Europa, 1945-2000" von Staatsarchiv Freiburg, Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg, Institut Français in Freiburg am 11./12. April 2002 anläßlich des 50 jährigen Bestehens des Landes Baden-Württemberg

Bezug des Sonderdrucks: Buchhandlung Jos Fritz, Freiburg, Wilhelmstr. 15, D-79098 Freiburg; Fax 0049 (0)761-34961, oder: im Infopunkt Klima-Umwelt im Treffpunkt Freiburg, Wilhelmstr.20, Freiburg, Di+Do 16:30-17.15 (außer Schulferien) oder: Einsendung von 5-€-in Briefmarken an Dr. G. Löser, Weiherweg 4 B, D-79194 Gundelfingen. - Lichtbilder-Vortrag des Autors auf Anfrage

*1) erst Anfang 2005

*2) Lore Haag ist leider Anfang 2004 verstorben. Drei Jahrzehnte hat sie unermüdlich für die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen gewirkt. Anläßlich der Trauerfeier trafen sich zahlreiche Aktive der Bürgerinitiativen. Ende Juli 2004 wurden vier kommissarische Sprecher gewählt. Die Bürgerinitiativen wollen sich verstärkt reaktivieren. Eine Internetpräsenz www.badisch-elsaessische.net ist ab Herbst 2004 vorgesehen. Dort werden auch die aktuellen Kontakte der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen zu finden sein. Vom 25.-27.2.2005 werden Veranstaltungen der Bürgerinitiativen stattfinden zum 30. Jahrestag der Besetzung des Bauplatzes des Atomkraftwerkes Wyhl.

 

Druckversion als Pdf-Datei Druckversion in html

Startseite:  http://www.badisch-elsaessische.net/